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Interview mit Figo Li

Figo Li ist ein angesehener Spezialist für Kaschmirziegen und Tierwohl in China. In den letzten zwei Jahren hat er viele Kaschmirfarmen in der Inneren Mongolei besucht und dort Verifizierungen mit durchgeführt. In diesem Interview gibt er Einblicke in die Kaschmirziegenhaltung und das Tierwohl in China und erklärt, welche Rolle der The Good Cashmere Standard bei der Verbesserung des Wohls von Chinas Kaschmirziegen spielt.

Herr Li, können Sie uns einen Einblick darin geben, wie Kaschmirziegen in der Inneren Mongolei leben?
Die meisten Kaschmirziegen in der Inneren Mongolei werden in Familienbetrieben mit eigenen Weideflächen gehalten. Gemäß den Verordnungen der chinesischen Regierung variiert die Anzahl der erlaubten Kaschmirziegen je Mu (entspricht etwa 0,07 Hektar), abhängig von der ökologischen Qualität der Weide. Die Spanne reicht von einer Ziege auf 15 Mu bis zu einer Ziege auf 30 Mu. Außer zu Zeiten des Weideverbots, das in der Regel ein bis drei Monate zwischen April und Juni dauert, haben die Ziegen regelmäßig für etwa sechs bis acht Stunden pro Tag Zugang zur Weide. Die Ziegen der Inneren Mongolei werden gut mit angemessenem Futter und Wasser versorgt. Zusätzlich zum Weidegras erhalten die Ziegen lagerfähiges Futter wie Mais, Luzerne, Sonnenblumenkerne sowie mineralische Nahrungsergänzungsmittel. Für den Winter, wenn das Gras knapp ist, decken sich die Ziegenhalter*innen mit Heu ein, um eine gute Ernährung der Ziegen sicherzustellen.

Welchen Einfluss hat das Klima der Inneren Mongolei auf die Haltung von Kaschmirziegen?
Die Innere Mongolei zeichnet sich durch geringe Niederschlagsmengen und eine vielfältige Landschaft aus, die von Grasland und Steppen geprägt ist. Kaschmirziegen sind sehr anpassungsfähig und können sich auf allen Arten von Grasland gut entwickeln. Die meisten Farmen haben Ziegenställe und Unterstände, so dass ihre Ziegen vor Wind und Regen geschützt sind. Der größte Teil der Ziegenhalter*innen profitiert von einer angemessenen Basis-Infrastruktur. Zudem werden sie von der chinesischen Regierung durch wirtschaftliche und politische Maßnahmen unterstützt. 

Wie werden die Ziegen vor Tierseuchen und Krankheiten geschützt?
Impfungen gegen Krankheiten wie die Pest der kleinen Wiederkäuer und die Maul- und Klauenseuche sind vom Staat gesetzlich vorgeschrieben und werden kostenlos angeboten. Die Ziegenhalter*innen können ihre Ziegen darüber hinaus gegen weitere Krankheiten impfen lassen, z. B. Ziegenpocken. Im Krankheitsfall bieten örtliche Tierärzt*innen Beratung und Behandlung an, entweder telefonisch oder durch Besuche vor Ort. Die Farmen selbst verfügen über gängige Medikamente und befolgen die Anweisungen der Veterinär*innen zur Behandlung der Ziegen. Alles in allem werden Kaschmirziegen in der Inneren Mongolei als wertvoller Besitz angesehen und gelten oft als Teil der Familien. Daher achten die Hirt*innen sehr auf das Wohl und die Lebensqualität ihrer Ziegen.

Wie stark ist der Tierschutz in der chinesischen Gesetzgebung verankert?
Derzeit gibt es in China kein spezielles Tierschutzgesetz. Es gelten jedoch zahlreiche lokale Tierwohlverordnungen. Obwohl ein nationales Tierschutzgesetz noch nicht umgesetzt wurde, gibt es derzeit etwa 70 Tierwohlstandards für Schweine, Rinder, Milchkühe, Schafe, Ziegen, Hühner, Masthähnchen, Hirsche und Wasservögel. Seit 2018 ist die Anzahl dieser Standards rasant gestiegen, mit durchschnittlich 30 neuen Standards pro Jahr. Das zeigt, dass China das System der Tierwohlstandards in der Landwirtschaft schnell weiterentwickelt. 2023 wurde der erste nationale Tierschutzstandard eingeführt. Er trägt den Titel ‚Kriterien für das Wohl von Schlachttieren‘ und ist ein landesweit empfohlener Standard, in dem Anforderungen für das Wohl von Schlachttieren einschließlich Ziegen festgelegt sind. Überdies wurde ein weiterer nationaler Standard implementiert: ‚Tierschutz bei der Keulung zur Seuchenbekämpfung‘. Angesichts des hohen Anteils von chinesischem Kaschmir am Weltmarkt und des internationalen Status der chinesischen Kaschmirindustrie könnte die Gesetzgebung zum Schutz von Kaschmirziegen in naher Zukunft besondere Aufmerksamkeit erhalten. Die Marktnachfrage dürfte die zeitnahe Einführung einschlägiger Gesetze und Verordnungen vorantreiben, damit den Anforderungen des internationalen Marktes entsprochen wird.

Welche Bedeutung hat das Recht des Tieres auf artgerechte Behandlung und Haltung in der chinesischen Öffentlichkeit?
Meiner Meinung nach hat der Tierschutz in der chinesischen Kultur und Erziehung einen hohen Stellenwert. Die traditionelle Lehre betont die Tugend ‚仁Ren‘ (Wohlwollen), die die Werte Menschlichkeit, Güte und ein mitfühlendes Herz umfasst. „Ein wohlwollen der Mensch liebt die anderen und wertschätzt alle Dinge.“ Zu den Dingen gehören in diesem Sinne alle Pflanzen und Tiere. Von der Notwendigkeit des menschlichen Überlebens bis hin zu den Lehren von Konfuzius und Mencius gibt es einen tief verwurzelten Glauben an die Fürsorge für Tiere, voller Wohlwollen und Liebe. Im Laufe der Geschichte Chinas hat jede große Dynastie Systeme oder Dekrete zum Schutz von Tieren eingeführt.

Hat sich die Einstellung der Kaschmirlieferanten und Halter*innen von Kaschmirziegen in den letzten Jahren geändert?
Ausgehend von meinen Erfahrungen mit der GCS-Verifizierung habe ich im Laufe der Jahre mehrere positive Entwicklungen beobachtet. Erstens haben sich die chinesischen Lieferanten, die am Verifizierungssprozess teilnehmen, im Laufe der Zeit immer besser mit den Anforderungen des Standards vertraut gemacht. Anfangs haben sie sich vielleicht nicht so sehr um die Lebensbedingungen von Ziegen gekümmert, aber jetzt wissen sie, wie sie das Wohl der Ziegen sicherstellen können, und helfen den Halter*innen aktiv bei der Optimierung ihrer Praktiken zugunsten des Tierwohls. Auch die Kaschmirproduzent*innen haben ihre Einstellung geändert und eine ganzheitlichere Perspektive eingenommen, um Tierwohl, Umweltschutz und Menschen in Einklang zu bringen. Obwohl alle Ziegenhalter*innen ihre Ziegen schon früher gut versorgt hatten, wurden viele von ihnen durch den wissenschaftlichen Ansatz für zuvor übersehene Tierwohlaspekte sensibilisiert. Dank der Einrichtung der ersten GCS-Modellfarm haben die Ziegenhalter*innen bereits ein besseres Verständnis und mehr Akzeptanz für den GCS entwickelt. Dies hat auch bei benachbarten Hirt*innen das Interesse an entsprechenden Weiterbildungen geweckt. Wenn sich die GCS-Verifizierung so weiterentwickelt, gehe ich davon aus, dass sich zukünftig weitere Lieferanten und Ziegenhalter*innen daran beteiligen werden. Somit wird der GCS auch in Zukunft eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung des Wohls der chinesischen Kaschmirziegen spielen.

„The Good Cashmere Standard spielt eine entscheidende Rolle, um das Wohl der chinesischen Kaschmirziegen zu verbessern.“

FIGO LI
Projektmanager für Tierwohl, LRQA (ehemals Elevate)

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