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Interview mit Anna Heaton

Der The Good Cashmere Standard® (GCS) by AbTF wurde in enger Zusammenarbeit und im Dialog mit Fachleuten entlang der textilen Lieferkette und unter Berücksichtigung ausführlicher wissenschaftlicher Beratung zum Tierwohl geschaffen. Eine der Expert*innen, die an der Entwicklung des Standards mitgewirkt haben, ist Anna Heaton, deren Leidenschaft dem Tierwohl gilt. Sie engagiert sich bereits seit über 15 Jahren auf internationaler Ebene für den Tierschutz und für nachhaltige Tierhaltung. Vor Kurzem hat sie bei der Non-Profit-Organisation Textile Exchange die Strategische Leitung des Bereichs Tierische Fasern und Materialien übernommen.

Anna, Sie sind Mitglied des Beirats für den The Good Cashmere Standard®. Können Sie uns kurz erklären, was der Beirat macht und welche Rolle Sie dabei spielen?

Der GCS-Beirat setzt sich aus Personen verschiedener Organisationen zusammen, darunter einige GCS-zertifizierte Verarbeitungsbetriebe, aber auch Tierschutzorganisationen und andere. Er überprüft die wichtigsten Faktoren des GCS-Standards samt Umsetzung und fungiert für das GCS-Team als externes Aufsichts- und Beratungsgremium.

Als Fachexpertin befasse ich mich mit dem Tierwohl sowie dem Zertifizierungssystem für den GCS. Ich gebe auch Einblicke aus der Perspektive von Textile Exchange zu den Erwartungen unserer Mitglieder bei der Beschaffung von Kaschmir. Die Partnerschaft mit anderen, ähnlich ausgerichteten Organisationen wie der Aid by Trade Foundation, der Initiatorin des The Good Cashmere Standards®, ist ein wichtiger Teil der Arbeit von Textile Exchange in der Textilbranche.

Der Standard wurde zunächst im Feld erprobt, sodass Kaschmirfarmerinnen und -farmer zu seiner Anwendbarkeit und Praktikabilität Stellung nehmen konnten. Während dieses Prozesses haben Sie sie sowie Kaschmirproduzent*innen in der Inneren Mongolei besucht, um direkte Rückmeldungen zu erhalten und die Situation vor Ort besser bewerten zu können. Wie waren die Reaktionen auf die Einführung dieses neuen Nachhaltigkeitsstandards?

Das Engagement sowohl der Erzeuger*innen als auch der Verarbeitungsbetriebe war großartig. Die Farmerinnen und Farmer berichteten voller Freude, wie sie ihre Ziegen aufziehen und ihr Land bewirtschaften; außerdem wollten sie den Standard inhaltlich verstehen und wissen, worauf Käufer Wert legen.

Im Allgemeinen schätzten sie die Möglichkeiten sehr, die eine Zusammenarbeit mit dem GCS bringt. Sie stellten Fragen zum Standard, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Gründe dahinter zu verstehen.

Der Good Cashmere Standard wurde 2020 eingeführt und dient als Referenz für nachhaltig produzierten Kaschmir. Er soll sich positiv auf Kaschmirziegen, Farmerinnen und Farmer und die Umwelt auswirken. Welche Wirkungen hat der Standard aus Ihrer Sicht bisher erzielt?

Der Standard hat in der kurzen Zeit seit seiner Einführung erstaunliche Fortschritte erbracht, denn eine große Anzahl von Farmen mit ihren Ziegen sind inzwischen GCS-zertifiziert. Das ist eine unglaubliche Leistung, vor allem angesichts der Covid-Beschränkungen in jener Region. Der GCS hat dazu beigetragen, dass Tierwohl, Landmanagement und soziale Kriterien in der gesamten Kaschmir-Lieferkette in China in den Vordergrund rückten, und das Zertifizierungsverfahren gemäß GCS-Standard hilft dabei einen positiven Wandel voranzubringen.

In der Inneren Mongolei sind es vor allem Familienbetriebe, die den Kaschmir produzieren und die traditionellen Haltungsmethoden von einer Generation zur nächsten fortführen. Der The Good Cashmere Standard® hat sich dem Wohlergehen der Kaschmirziegen verschrieben und versucht daher, gewisse alte Traditionen der Branche zu reformieren. Warum erlaubt der Standard immer noch das Kämmen von Ziegen?

Bei der Entwicklung des The Good Cashmere Standards® haben wir neben wissenschaftlichen Studien auch viele Forschungsergebnisse berücksichtigt und mit zahlreichen verschiedenen Stakeholdern gesprochen. Beim Streitpunkt „Scheren versus Kämmen“ bevorzugten einige das Kämmen, andere das Scheren. Die Herausforderung besteht nun darin, das Wohlergehen der Ziegen bei jedem der beiden Verfahren zu gewährleisten. Der GCS schreibt vor, dass Ziegen unabhängig von der verwendeten Methode ruhig und vorsichtig behandelt und möglichst kurzzeitig fixiert werden. Im Standard wird als Verbesserungskriterium das Scheren anstelle des Kämmens empfohlen, und Berichte aus der Branche deuten darauf hin, dass dies auf jeden Fall ein zunehmender Trend ist. Allerdings hatten wir nicht genügend Beweise, um zu belegen, dass das Kämmen prinzipiell eine schlechte Methode zur Gewinnung von Kaschmir ist, und wir wollten kleinere und traditionellere Betriebe, die diese Methode nach wie vor anwenden, nicht ausschließen – solange sie die Anforderungen der Standards für die Durchführung dieses Verfahrens erfüllen.

Ebenso wie viele andere Standards für landwirtschaftliche Rohstoffe verlangt der The Good Cashmere Standard®, dass jährlich mindestens 10 % aller Kaschmirfarmen kontrolliert werden. Ist dies eine ausreichend große Stichprobe, um sicherzustellen, dass alle Farmen die Zertifizierungsanforderungen erfüllen?

Das entscheidende am Auditprotokoll für den The Good Cashmere Standard® ist, dass die Auditierung zertifizierter Farmen durch Dritte nicht die einzige Kontrolle ist, die stattfindet. Manche Leute haben Bedenken, dass, wenn jährlich nur ein gewisser Prozentsatz der Betriebe auditiert wird, unzureichende Praktiken in ungeprüften Betrieben unentdeckt bleiben. Wenn alle Betriebe völlig isoliert und ohne weiteren Kontakt in Bezug auf GCS geführt würden, könnte das zutreffen; doch die Art und Weise, wie das GCS-Auditprotokoll eingerichtet ist, führt die Kaschmirfarmer und -produzenten, sogenannte Buying Stations, zusammen, die bei der Schulung der Farmerinnen und Farmer im GCS und der Vorbereitung auf das Audit mitwirken. Jeder Kaschmirfarmer muss über den Kaschmirproduzenten eine Selbstauskunft mit Fragen zu den Standards über seinen Betrieb ausfüllen. Die entsprechenden Antworten dienen dann zusammen mit den Ergebnissen früherer Audits als Entscheidungsgrundlage dafür, welche Betriebe auditiert werden müssen. Man könnte annehmen, dass manche Farmerinnen und Farmer bei der Selbsteinschätzung geschönte Antworten geben, um ihre Betriebe als perfekt darzustellen, aber die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass die Antworten grundsätzlich den Tatsachen entsprechen.

Wie Sie in Ihrer Frage bereits festgestellt haben, wird dieses Auditmodell nicht nur für den GCS angewandt. Bei allen Standards und Zertifizierungen müssen Kosten und Praktikabilität in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Auditanforderungen stehen. Gut verwaltete Modelle wie der GCS oder das Tierwohl-Label RAF von Textile Exchange führen eine Mischung aus internen Audits oder Selbstbeurteilungen sowie externen Audits durch, und konnten damit in der Vergangenheit sicherstellen, dass zertifizierte Materialien wirklich dem jeweiligen Standard entsprechen.

Von manchen Gruppen wird gefordert, dass Kaschmir aus der Textilproduktion eliminiert und durch vegane Alternativen ersetzt wird. Was halten Sie davon?

Die Antwort darauf hängt davon ab, aus welchem Grund vegane Alternativen verwendet werden. Ein Teil der Bevölkerung lebt völlig vegan, weil er der Meinung ist, dass Tiere oder tierische Produkte niemals vom Menschen genutzt werden sollten, sei es für Lebensmittel, Textilien oder aus anderen Gründen. Diese Personen entscheiden sich für nichttierische Alternativen zu Wolle, Kaschmir oder anderen tierischen Materialien.

Andere bevorzugen vegane Alternativen gegenüber tierischen Fasern und Materialien, da sie wegen der Auswirkungen der Massentierhaltung auf unserem Planeten besorgt sind. Die Frage ist also, ob die nichttierischen Alternativen in dieser Hinsicht besser sind. Gewisse nichttierische Produkte wie Polyester sind Kunststoffe auf Ölbasis, die selbst erhebliche Umweltauswirkungen haben. Andere natürliche Materialien wie etwa cellulosische Chemiefasern oder Baumwolle können ebenfalls auf umweltschädliche Weise erzeugt werden. Ich glaube, dass Naturfasern – auf Tier- und Pflanzenbasis –, deren Erzeugung positive Wirkungen entfaltet, die beste Lösung sind.

Genau diesem Leitbild entspricht auch die Strategie „Climate+“ von Textile Exchange, die das Thema Klima in den Mittelpunkt stellt. Die größten Klimaauswirkungen für Fasern und Materialien entstehen in der Phase vor dem Spinnen – also bezogen auf tierische Fasern und Materialien: bei der Haltung. Wir wissen, dass Materialien wie Wolle und Kaschmir so produziert werden können, dass Treibhausgasemissionen minimiert, die Bodengesundheit geschützt und die Biodiversität gefördert werden. Die Strategie „Climate+“ wird den Menschen helfen, die Konsequenzen ihrer Entscheidungen besser zu verstehen, und den Weg für bessere Produktionsmethoden ebnen. Dieser Ansatz scheint mir der beste für uns alle zu sein.

Vielen Dank für das Interview, Frau Heaton.

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