Logo

Interview mit Tina Stridde und Christian Barthel von der Aid by Trade Foundation

Interview mit Tina Stridde und Christian Barthel von der Aid by Trade Foundation über die Entwicklungen, Wirkung und Ziele des The Good Cashmere Standards

Mehrere wichtige Meilensteine prägten das Jahr 2021 bei The Good Cashmere Standard. Einer davon war sicherlich der Abschluss der zweiten Verifizierungsrunde, bei dem 14 Kaschmirproduzenten und rund 8.000 angeschlossene Farmer den Auditprozess erfolgreich durchlaufen haben. Rund 3,3 Millionen Ziegen lieferten 1.300 Tonnen Kaschmirwolle, die nach The Good Cashmere Standard zertifiziert ist. Auf der Nachfrageseite haben sich zahlreiche neue Einzelhändler und Marken zusammengeschlossen, um öffentlich für Tierschutz in der Textilindustrie einzutreten und den Wandel zu mehr Transparenz in der Lieferkette voranzutreiben. Bereits 6 Millionen Textilien wurden mit dem The Good Cashmere Standard ausgezeichnet. Branchenübergreifende Austausche mit anderen Stakeholdern wie dem Animal Fibers and Materials Round Table von Textile Exchange rundeten das Jahr 2021 weiter ab. Mit Tina Stridde, Geschäftsführerin, und Christian Barthel, Head of Business Development, wollen wir einen Blick hinter die Kulissen von The Good Cashmere Standard werfen und tiefer in die Arbeit des Teams der Aid by Trade Foundation eintauchen.

Tina, der The Good Cashmere Standard hat sich zum Ziel gesetzt, die Haltung der Kaschmir-Ziegen zu verbessern. Über 100 Kriterien machen klare Vorgaben u.a. zur Ernährung, zur Haltung und zum Umgang, zur Schur sowie zum Gesundheitsmanagement der Tiere. Was wurde bisher erreicht?  

Der The Good Cashmere Standard wurde vor rund zwei Jahren ins Leben gerufen, um als erster Standard weltweit für das Wohl der Kaschmirziegen zu sorgen. Seither können wir auf eine herausragende Entwicklung und zwei abgeschlossene Auditierungsrunden zurückblicken. Die Nachfrage nach Kaschmirwolle, die nach The Good Cashmere Standard zertifiziert wurde, war 2021 überwältigend und hält auch 2022 weiter an – sowohl aufseiten der Nachfrage von Retailern und Brands als auch auf Produktionsseite. Entsprechend wurden 2021 476 Auditierungen auf der Ebene der Farmen und 26 Auditierungen auf der Ebene der Buying Stations, den Aufkauf- und Verkaufsstationen für Kaschmirwolle, durchgeführt. 7.900 Bauern, mehr als drei Millionen Ziegen sowie 1.300 Tonnen Kaschmirwolle[1] wurden 2021 gemäß The Good Cashmere Standard zertifiziert. Ein Meilenstein für den The Good Cashmere Standard, der erstmals die Haltung der Kaschmirziegen in der Inneren Mongolei, einem Hauptproduzenten für Kaschmir weltweit, gemäß Tierwohlstandards dokumentiert. Bei 68% der Farmen handelt es sich um kleinbäuerliche Betriebe ohne Angestellte. Lediglich eine Farm musste aufgrund eines Verstoßes gegen ein Ausschlusskriterium unmittelbar aus dem Standard ausgeschlossen werden. In diesem Jahr haben wir uns vorgenommen, dass insbesondere die Schulungen und die weitere Sensibilisierung der Bauern für die Themen des Tierschutzes eine besondere Rolle für unsere Arbeit spielen werden. Dafür arbeiten wir noch stärker mit anderen Organisationen wie der Humane Slaughter Association aus UK und internationalen sowie lokalen Experten im Bereich Tierwohl zusammen.

Christian, auch in der textilen Wertschöpfungskette konnte The Good Cashmere Standard einige Innovationen anstoßen und erfolgreich umsetzen. Um auf die steigenden Anforderungen an Transparenz und Rückverfolgbarkeit zu antworten, wurde das Cashmere Tracking System kurz CATS entwickelt. Kannst du uns einen Einblick in das System geben?

Uns ist es ein wichtiges Anliegen mehr Transparenz über die Herkunft und Produktion der Kaschmirprodukte zu schaffen. Mit CATS hat die Aid by Trade Foundation ein digitales Trackingsystem entwickelt, das die gesamte Menge an zertifizierter Kaschmirwolle sowie alle Aufträge für Produkte, die mit dem The Good Cashmere Standard gelabelt sind, erfasst. Nur zertifizierte Kaschmirproduzenten und Farmer, die den Auditprozess erfolgreich absolviert haben, sind im System integriert. Darüber hinaus haben registrierte Partner in der Weiterverarbeitung der Kaschmirwolle sowie lizenzierte Textilunternehmen und Brands Zugang zum System. Alleine in 2021 waren knapp 200 Partner entlang der textilen Wertschöpfungskette vom Produzenten über die Spinnereien bis hin zum Retailer im System verzeichnet. In CATS können sämtliche Aufträge vom fertigen Produkt bis zum Rohstoff zurückverfolgt werden. Das Trackingsystem ermöglicht einen genauen Überblick über die eingesetzte Kaschmirmenge je Partner und stellt sicher, dass tatsächlich zertifiziertes Kaschmir verarbeitet wird. Die Aid by Trade Foundation bietet damit aktuell ein auf dem Markt einzigartiges Online-Portal, das für dieses Maß an Transparenz und Rückverfolgbarkeit in der Kaschmirindustrie sorgt.

Tina, der The Good Cashmere Standard kümmert sich um das Wohl der Kaschmirziegen in der Inneren Mongolei, einem weitläufigen und ländlich geprägten Teil im Norden Chinas, das an die Mongolei angrenzt. Wie laufen die Verifizierungen vor Ort ab – insbesondere zu einer Zeit, zu der das Coronavirus nachwievor ein beherrschendes Thema in unserem täglichen Leben ist, und das Reisen weiterhin stark eingeschränkt sein wird?

Uns war von Anfang eine gute und verlässliche Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort wichtig, um sicherzustellen, dass unser Standard und seine Anforderungen ordnungsgemäß umgesetzt werden. Dazu zählt auch die Überprüfung des Standards durch unabhängige Dritte. Bereits seit Anfang an arbeiten wir mit lokalen Verifizierern aus China zusammen, die die Gegebenheiten vor Ort kennen und alleine aus sprachlichen und logistischen Gründen einen guten Zugang zu den Produzenten und Farmern haben. Sie überprüfen in regelmäßigen Abständen, ob die Kaschmirfarmen und -produzenten die im Standard festgelegten Kriterien einhalten. Dafür besuchen sie die Farmer auf ihren Höfen bzw. die Produktionsstätten der Produzenten. Wenn der Zertifizierungsprozess erfolgreich verläuft und die Vorgaben eingehalten werden, erhalten die Farmen und Produzenten ein Zertifikat, das 12 Monate lang gültig ist und ihnen erlaubt, ihre Produkte mit dem The Good Cashmere Standard® Siegel zu verkaufen. Gerade angesichts der aktuellen Restriktionen zahlt sich die Entscheidung aus, mit lokalen Vertretern aus China zusammenzuarbeiten. Unsere Auditoren können relativ einfach vor Ort sein, um die korrekte Umsetzung des Standards zu kontrollieren. Wir konnten damit eine kontinuierliche Überprüfung bei den Farmern und Produzenten sicherstellen und stehen über digitale Austauschplattformen im engen Austausch mit ihnen sowie allen anderen asiatischen Stakeholdern und Partnern.

Tina, um die Wolle der Kaschmirziegen zu gewinnen werden die Tiere gekämmt oder geschoren. Der The Good Cashmere Standard stellt konkrete Forderungen an diesen Prozess. So müssen gemäß Standard die Tiere zu einem Zeitpunkt die Haare entfernt werden, zu dem sie sie auch auf natürliche Weise verlieren würden. Auf das Wohl der Tiere ist stets zu achten. Aktuell gibt es noch keine Angabe dazu, welche Methode der Haarentfernung zu bevorzugen ist. Kannst du uns erläutern, warum?

Bislang gibt es keine verlässliche Studie oder Untersuchung, die zu einem eindeutigen Ergebnis kommt, welche Methode – Scheren oder Kämmen – unter Tierwohlaspekten zu bevorzugen ist. Dementsprechend gibt der Standard bislang eine Empfehlung zu Scheren, da dieser Prozess sehr schnell durchgeführt werden kann, macht aber noch keine verbindlichen Vorgaben. Als Gegenargument zur Schur führen einige Experten (darunter auch einige Hirten) an, dass geschorene Tiere keine Wolle mehr am Körper haben, die sie vor der Witterung wie zum Beispiel der Sonneneinstrahlung schützt. Da uns das Wohl der Tiere am Herzen liegt, beobachten wir die Lage aufmerksam und tauschen uns regelmäßig mit Tierschutzspezialisten und Branchenexperten beispielsweise im Rahmen unseres Beirats zu neuesten Erkenntnissen aus.

Christian, der The Good Cashmere Standard scheint zum richtigen Zeitpunkt zu kommen. Zahlreiche Unternehmen und Brands wie Peter Hahn, Boden oder H&M schließen sich dem Standard an und wenden sich von konventionell hergestelltem Kaschmir ab. In welchem Maße haben Sie bei der Festlegung Ihres Standards auf die Bedürfnisse der Modeunternehmen Rücksicht genommen?

Der The Good Cashmere Standard ist ein unabhängiger Standard. Er wurde als Reaktion auf das wachsende Bedürfnis und die Nachfrage nach einer nachhaltigen, transparenten und rückverfolgbaren Kaschmirproduktion unter Einbeziehung von Tierschutzspezialisten und Branchenexperten entwickelt. Dem Ansatz eines Social Business folgend basiert unser Grundprinzip darauf unabhängig von Spenden zu agieren und einen nachhaltigen Wandel aus dem Handel heraus zu generieren. Daher spielt die Nachfrage aus der Wirtschaft eine wichtige Rolle. Produzenten und Retailer haben mit ihrer Expertise wichtige Impulse für eine transparente und reibungslose Integration des zertifizierten Kaschmirs in der Kette gesetzt. Damit haben sie dazu beigetragen, dass wir einen Standard auf den Markt bringen konnten, der gleichermaßen unabhängig, wirkungsvoll als auch umsetzungsorientiert ist – ohne dabei Abstriche für das Wohl der Kaschmirziegen zu machen.

Christian, in der öffentlichen Diskussion erhalten vegane Alternativen zu tierischen Fasern in der Textilindustrie zunehmend Beachtung. So ist Garn aus Soja weich, komplett biologisch abbaubar und es entsteht als Nebenprodukt bei der Sojabohnen-Verarbeitung. Ist es nicht an der Zeit, Kaschmirwolle durch tierfreie Alternativen zu ersetzen?

Die Nachfrage nach Kaschmir ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Woher das Kaschmir stammt, unter welchen Bedingungen das feine Garn produziert wurde und in welcher Qualität, ist bisher kaum bekannt. Die Aid by Trade Foundation setzt sich für das Wohl der Ziegen auf den Kaschmirfarmen ein. Wir begrüßen daher auch die zahlreichen, vielversprechenden Projekte für alternative Rohstoffe in der Textilindustrie. Ein großer Durchbruch dieser Projekte im Massenmarkt ist aber bislang noch nicht erfolgt. Daher wird es auf mittlere und langfristige Sicht immer noch eine große Nachfrage nach tierischen Fasern geben. Gerade vor diesem Hintergrund ist es uns sehr wichtig, einen Standard zu etablieren, der Vorgaben für Tierwohl und ökologische sowie soziale Kriterien setzt und deren Einhaltung unabhängig überprüfen lässt. Nichts zu unternehmen würde bedeuten, nichts weiter für das Wohl der Tiere zu unternehmen. Das entspricht nicht unserem Verständnis von Verantwortung.

Tina, das Thema Klimaschutz spielt in der Bevölkerung eine immer größere Rolle. Wie steht der The Good Cashmere Standard dazu, dass Kaschmirziegen beim Grasen die Wurzeln der Pflanzen ausreißen und mit ihren Füßen den Boden verdichten, mit der Folge, dass die fruchtbaren Böden in diesen Regionen immer knapper werden, neue Wüsten entstehen und immer heftigere Sandstürme über China ziehen. Muss eine solche Entwicklung nicht gestoppt werden?

Die Schaf- und Ziegenhaltung in der Inneren Mongolei hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Die chinesische Regierung hat erkannt, dass die intensive und stark gestiegene Nutzung immer größerer Flächen für Weidetiere in den letzten Jahrzehnten zu einer wachsenden Versteppung des Graslandes geführt hat. Sie hat u. a. mit Weideverboten und einer Regulierung der Anzahl der Kaschmirziegen reagiert. Der Schutz der Umwelt, in der Kaschmirziegen und Hirten leben, ist ein wichtiges Ziel von The Good Cashmere Standard. Der The Good Cashmere Standard fokussiert sich ausschließlich auf sogenanntes „farmed cashmere“, also Kaschmir, das durch die Ziegen sesshafter Bauern erzeugt wird, die ihre Tiere auf Farmen halten, sie füttern und nur auf eingezäunten Flächen frei umherlaufen und weiden lassen. So können die Farmer dafür sorgen, dass das Grasland nicht weiter vernutzt wird. Außerdem ist das Verbot, Primärwälder abzuholzen, die friedliche Koexistenz mit Wildtieren, der verantwortungsvolle Umgang mit Pestiziden oder der Schutz der Biodiversität klar im Standard definiert.

[1] Dehaired cashmere

Kontaktieren Sie uns